Chefs dürfen alles - auch Mensch sein?
Kleine Schwächen, große Sorgen und der eigene Anspruch an sich selbst als Führungskraft
Viele Organisationen haben Kompetenzmodelle für ihre Führungskräfte erstellt. Dabei werden oft Eigenschaften aufgezählt, von denen man glauben könnte, dass sie nur Superman oder Superwoman haben können.
Ich zähle mal ein paar auf, mal sehen, ob Sie durchhalten und bis zum Ende meiner Liste lesen können!
Er/sie ist/kann unter anderem …
- analytisch, verbindlich, entscheidungsfähig
- führt klar mit Zielen und ist ein Netzwerker
- führt erfolgreiche Meetings und Mitarbeitergespräche
- empathisch, bescheiden, ein guter Zuhörer
- proaktiv, belastbar, mutig
- teamorientiert, kann auch mal mit anpacken, konfliktfähig
- stark, aber auch sensibel
- fördert die Eigeninitiative der Mitarbeiter
- ist loyal, agil und anpassungsfähig
- kreativ, innovativ und gut informiert
- denkt strategisch und hat das große Ganze im Blick
- motiviert und inspiriert Menschen
- übernimmt gerne Verantwortung und kann sie auch abgeben, kann die Zügel in die Hand nehmen aber auch lockerlassen
- selbstreflektiert und humorvoll
- macht wenig Fehler und schafft eine optimale Fehlerkultur im Team
- neugierig, ehrgeizig und mitfühlend
- tritt selbstsicher auf und kann Menschen für die Sache begeistern…
Also wie gesagt: Superman/woman oder mal auf Deutsch gesagt, wer glaubt, dass so jemand existiert, der glaubt auch an die eierlegende Wollmilchsau oder den 6er im Lotto.
Im Übrigen bin ich sehr wohl der Meinung, dass alle Führungskräfte das Genie für viele Aspekte der Führung in sich tragen - einige von ihnen sind erstaunliche Vordenker, einige von ihnen sind erstaunliche Menschenführer, einige von ihnen sind so klug und organisiert, dass Sie alles erledigen können! Und einige von ihnen sind zutiefst selbstbewusst und emotional "gesund". Aber ich habe noch nie jemanden getroffen, der das alles in einem ist!
Bloß keine Schwäche zeigen!
Weil Indianer ja auch nicht weinen. Aber ist das nicht überholt?
Kleine Jungs dürfen weinen, Mädchen auch. Aber Führungskräfte?
Und was ist dann mit den kleinen Schwächen? Den Zweifeln, den Ängsten, den Hemmungen? Den Fehlentscheidungen oder Sorgen, eine Entscheidung zu treffen? Den schlaflosen Nächten, weil man glaubt, sich im Ton vergriffen oder jemanden vor den Kopf gestoßen zu haben? Der Angst vor Konflikten?
Hier mal ein Beispiel aus meiner Coachingarbeit:
Letztens hatte ich eine Coaching Klientin (Abteilungsleiterin mit 27 Mitarbeitern) bei mir, die so gestresst war, dass sie erst mal ne Runde geweint hat. Anschließend meinte sie, das sei ihr peinlich und so was sei ihr ja noch nie passiert: „Oh Gott, Sie müssen mich ja für total schwach halten!“
Wie bitte?
Es stellte sich heraus…
Sie hatte gerade einem Mitarbeiter kündigen müssen, den sie selbst eingestellt hatte, weil der Konzern auf die Sparbremse trat; sie hing fest in einem Konflikt mit einem anderen Abteilungsleiter, der irgendwie nicht in den Griff zu kriegen war und ihre Mutter war gerade mit Corona auf der Intensivstation. Außerdem steckte das Team in einem Veränderungsprozess – da waren alle auch mit Herzblut dabei – doch das erforderte ihre gesamte Konzentration. Sie sah den Wald vor lauter Bäumen nicht!
Puuh. Wer da nicht weint, ist … ja was ist er/sie denn dann? Tough?
Nicht verzweifeln, hier kommen ein paar Praxistipps
1. Vertrauen
Sprechen Sie mit Kollegen aus Ihrer Peer-Group, wenn es Ihnen mal nicht so gut geht, und reden Sie sich Ihre Sorgen von der Seele (natürlich mit Ankündigung: „Hättest Du einmal persönlich etwas Zeit für mich? Es würde mir guttun, wenn ich einmal mit jemandem vertrauensvoll sprechen kann.)
2. Offenheit
Scheuen Sie sich nicht, auch Ihren Mitarbeitern gegenüber einmal Farbe zu bekennen. „Hört bitte mal her. Ich möchte einmal etwas in eigener Sache sagen. Im Moment wachsen mir einige Dinge über den Kopf. Ich bitte Euch daher um Verständnis, wenn ich gestresst reagiere. Mit Eurer Unterstützung – und ich weiß ja, dass ich mich auf Euch verlassen kann – komme ich da auch wieder raus.“
3. Selbstbild stärken
Schauen Sie mal auf die Liste oben und untersuchen Sie sie mal nach ihren eigenen Stärken. Oder noch besser: fragen Sie mal jemanden, was er/sie an Ihnen schätzt. So holen Sie sich Anerkennung aktiv ein und die löst bei uns Menschen immer auch ein gesteigertes Selbstwertgefühl hervor. Also: keine falsche Bescheidenheit, sondern: „Sag mal, wenn Du mich so von außen betrachtest, was würdest Du sagen, sind meine Stärken?“
4. Auszeit nehmen
Und zwar genau dann, wenn Sie glauben, dass es nicht geht. Das ist der Trick, allerdings auch der Schwerste, denn Sie müssen Ihren kleinen Schweinehund besiegen, der Ihnen weismachen will, dass es ohne Sie nicht geht. Versuchen Sie sich einmal mit einem neutralen Blick von außen zu betrachten. Rücken Sie die Dinge in einen ganzheitlichen Fokus. Welche Bedeutung hat das, was Sie besorgt, auf längere Sicht? Wird das in ein paar Monaten noch jemanden „jucken“?
Ich liebe es, Führungskräften zu helfen, das Genie in sich selbst zu entdecken, damit sie die Führungskraft (und der Mensch) sein können, der sie sein wollen. Und ich helfe Ihnen auch die für Sie wichtigen Durststrecken zu überwinden. Glauben Sie mir, ich habe sie selbst erlebt und weiß, wovon ich rede.
Schicken Sie mir eine E-Mail und lassen Sie uns reden, von Mensch zu Mensch!